Die Trnen des Clowns 11FREUNDE

Publish date: 2024-10-24

End­lich wieder Bun­des­liga! Wir freuen uns darauf. Auch, weil dann wieder diese die­bi­schen und (bis­lang) geheimen Freuden bedient werden. Unsere Bun­­des­­liga-Guilty-Ple­a­­sures. Hier findet ihr alle Texte der Serie.

Bazi was my first love. Irgend­wann Ende des alten Jahr­tau­sends ent­deckte ich ihn am Spiel­feld im Münchner Olym­pia­sta­dion. Knol­len­nase, abste­hende Ohren, Leder­hose. Sein Augen­auf­schlag und der Grin­se­mund iden­ti­fi­zierten ihn ein­deutig als Pothead. Oder Schlim­meres. Sofort ging mir durch den Kopf: Eine bemit­lei­dens­werte Gestalt. Als hätte Uli Hoeneß wahn­haft im Keller seiner Tegernsee-Villa mit Bunt­stiften expe­ri­men­tiert, frei nach dem Motto: Mir brau­chen ein Mas­kott­chen!

Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig war das Mond­ge­sicht!

Nun lief das adi­pöse Fak­totum am Spiel­feld auf und ab und beklatschte wirr lächelnd jede dahin­ge­stüm­perte Spiel­si­tua­tion. Ein trau­riger Clown in viel zu großen Kla­motten, zum ewigen Lächeln ver­dammt, die lebende Klatsch­pappe des Rekord­meis­ters. Und noch lange bevor bei jedem Bun­des­li­gisten über­le­bens­große Plüsch­tier­chen durch die Manege tigerten, schloß ich den armen Bazi-Tropf, in dessen Innern wahr­schein­lich tapfer ein pre­kärer Neben­be­rufler schwitzte, der von seinem zwei­wö­chent­li­chen 90-Minuten-Ruhm nie­mals etwas haben sollte, klamm­heim­lich in mein Herz.

Geschöpfe, die ein trau­riges Schau­spiel abfeiern

Schon klar, Mas­kott­chen sind für uns Tra­di­tio­na­listen Aus­ge­burten der Mar­ke­ting-Hölle. Stumme Hand­langer einer außer Kon­trolle gera­tenen Kom­mer­zia­li­sie­rung. Doch sind sie nicht auch Opfer? Mit ihren ihnen erstarrten Gesichts­zügen, auf Gedeih und Ver­derb zur Euphorie ver­dammt, sym­bo­li­sieren sie bei den meisten Ver­einen doch eher die Unbarm­her­zig­keit des Fuß­ball­ge­schäfts. Logisch, dem Bazi und dessen schnöden Nach­folger Berni geht es gut. Sie kon­zer­tieren zumeist den Erfolg. Doch denken wir an Dino Her­mann, an Fritzle oder den gesichts­losen Erwin. Geschöpfe, die seit Jahren ein trau­riges Schau­spiel abfeiern müssen. Starre Miene zum bösen Spiel machen. Wer ihnen zusieht, möchte die kusch­ligen Loser am liebsten in den Arm nehmen und ihnen ins Ohr flüs­tern: Gräme dich nicht, wird schon wieder!“

End­gültig meinen Frieden mit der Mas­kott­chen-Kultur machte ich Mitte der Nuller­jahre. Ich war als Mode­rator der Ber­liner Panini-Tausch­börse gebucht. Die Ver­an­stalter hatten gesagt, ein Hertha-Spieler (Arne Fried­rich) käme vorbei, ich solle auf der Bühne ein Inter­view machen und dazu ein paar Sam­mel­alben ver­losen. Als ich am Ver­an­stal­tungsort ankam, waren die Panini-Leute aber ganz auf­ge­regt. Arne Fried­rich habe abge­sagt, nun käme ein bra­si­lia­ni­scher Spieler Thinho. Ganz neu ver­pflichtet. Ich hatte noch nie von ihm gehört. Stellte mich auf ein unge­lenkes Deng­lisch-Inter­view ein, ein paar rhe­to­ri­sche All­ge­mein­plätze.

Doch die Panini-Kol­legen hatten da wohl etwas falsch ver­standen. Es kam nicht etwa der Jung­star Thinho („Herr Thinho ist gleich da…“), plötz­lich rauschte BSC-Mas­kott­chen Her­t­hinho in die Halle. An seiner Seite ein freund­li­cher Begleiter, der mich sogleich über die Gepflo­gen­heiten des Inter­views auf­klärte. Nur er sei in der Lage, dem ver­klei­deten Glücks­bringer seinen Weg durch den Saal zu weisen. Nein, das Mas­kott­chen würde keinen Muks machen. Nein, auch der in der üppigen Ver­klei­dung ste­ckende Werk­stu­dent würde keine Fragen beant­worten. Her­t­hinho gäbe grund­sätz­lich nur mimi­sche und ges­ti­sche Ant­worten.

Mas­kott­chen sein ist Arbeit, wo man leistet

Und so stand ich schließ­lich mit dem ent­rückten Bären­plüsch auf einer Holz­bühne im Euro­pa­center, der auf meine inves­ti­ga­tiven Fragen („Her­t­hinho, wie gefällt es dir hier?“, Sam­melst Du auch Panini-Bilder?“, Wie spielt die Hertha am Wochen­ende?“ usw.) wahl­weise mit dem Poldi-Daumen, einem Ach­sel­zu­cken oder sons­tigem Over­ac­ting ant­wor­tete. Am Ende unseres Gesprächs“ bedankte ich mich herz­lich bei Her­t­hinho, der mir dar­aufhin spontan um den Hals fiel und mir mit seiner Kuschel­tatze sanft über den Kopf strei­chelte. Anschlie­ßend trat Meister Petz von der Bühne und ließ sich geduldig über Stunden mit Klein­kin­dern foto­gra­fieren. Keine Klagen, keine Pausen, für keinen Moment nahm der Mensch den über­heißen Kopf ab. Und mir wurde klar: Mas­kott­chen sein ist Arbeit, wo man leistet.

Wer es nicht selbst erlebt hat, sollte also nicht zu hart ins Gericht mit diesen Stoff­bergen gehen. Wir wissen nicht, was in ihnen vor­geht. Wie sang Smokey Robinson in Tears of a Clown“: Ich ver­suche mein Äußeres zu verbergen/​Lächle in die Menge/​Doch allein zuhause, da weine ich/​Die Tränen eines Clowns/​Wenn nie­mand dabei ist/​Oh yeah, Baby/​Jetzt ist ein Lächeln auf meinem Gesicht/​Aber lass dich von meinem frohen Aus­druck nicht täuschen/​Denke nicht, es macht mir nichts aus, nur weil ich lächle/​Denn ich bin wirk­lich traurig“. Bazi was my first love … and it will be my last.

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