Landauers Liebe - Die jdische Vergangenheit des FC Bayern 11FREUNDE

Uri Siegel kann Szenen, die vor Jahrzehnten abgelaufen sind, beschreiben, als wären sie gestern gewesen. Er hat mit Onkel Kurt in der Schule nie geprahlt, aber stolz auf ihn war er schon. „Er war ein stattlicher Mann, sehr populär“, sagt Siegel, Jahrgang 1922, und streicht mit der flachen Hand über einen Ordner mit vergilbten Fotos. Onkel Kurt ist seit bald fünfzig Jahren tot, und erst jetzt wächst das Interesse an ihm. „Er war in Vergessenheit geraten“, sagt Siegel. „Dabei hat der Münchner Fußball ihm viel zu verdanken.“ Vielleicht würde es den FC Bayern und seine Rekorde ohne den Juden Kurt Landauer heute gar nicht geben.
Fast zwanzig Jahre, mit Unterbrechungen, ist Landauer Präsident des FC Bayern gewesen. Er hatte im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Reich gekämpft, formte den Klub zu einer anerkannten Adresse. Unter seiner Führung wurde der FC Bayern 1932 zum ersten Mal Deutscher Fußballmeister. Tausende huldigten Landauer, dem akkurat gekleideten Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie, er hätte nicht für möglich gehalten, dass der Jubel schnell wieder verhallen würde.
Schon Monate später wurde ein Cousin seines Schwagers von den Nazis durch die Straßen getrieben. Dem Anwalt waren die Hosenbeine abgeschnitten worden, er musste ein Schild tragen, die Botschaft: „Ich bin Jude und will mich nicht gegen die Polizei beschweren.“ Landauer trat 1933 als Präsident des FC Bayern zurück. Am 10. November 1938, einen Tag nach der Pogromnacht, wurde Landauer in das Konzentrationslager Dachau verschleppt, vier Wochen war er in Baracke Nummer acht inhaftiert.
Ignoranz, Unwissenheit oder Kalkül
An jenem Ort soll an diesem Dienstagabend auch der 125. Geburtstag Landauers begangen werden. Uri Siegel, sein letzter lebender Angehöriger, Anwalt in dritter Generation, wird vor den Gästen sprechen, auch Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge will kommen. Dachau symbolisiert die traurigste Zeit im Leben Landauers – zugleich aber auch eine seiner größten Errungenschaften.
Landauer entkam dem Lager, flüchtete in die Schweiz, doch vier seiner Geschwister wurden von den Nazis ermordet. Trotz der Tragödien kehrte er 1947 zurück nach München. Er bewarb sich bei den amerikanischen Besatzern um die Lizenz, den FC Bayern wieder aufbauen zu dürfen. „Darum hatten sich viele bemüht“, sagt Siegel. „Aber sie wurden rausgeworfen, mein Onkel war glaubwürdiger.“ Landauer ebnete den Weg für erfolgreiche Jahrzehnte. Das Fundament für den Rekordmeister.
Als Legende wird Landauer beim FC Bayern nicht betrachtet. Wer auf der Internetseite des Vereins in der Suchfunktion den Namen des Managers Hoeneß eingibt, erhält 1646 Einträge, Klubchef Rummenigge fördert 1286 Vermerke zu Tage. Bei Landauer ist es kein einziger. „Die Bayern glauben, dass ihre Geschichte mit Franz Beckenbauer und den Erfolgen in den Siebzigern beginnt“, sagt Siegel. Landauer starb 1961, die Klubzeitung begründete seine Abwesenheit zwischen 1933 und 1947 mit „politischen Gründen“. Über dem Nachruf stand ein Kruzifix, von jüdischen Wurzeln ist keine Rede.
Ist es Ignoranz, Unwissenheit oder Kalkül? Will der FC Bayern keine politisch-religiösen Fragen beantworten, womöglich mit Blick auf den arabischen Markt? Der jüdische Nachlass ist für jene sichtbar, die genau hinschauen. Ein Beispiel ist der Kurt-Landauer-Weg, am Stadtrad gelegen, im Nirgendwo zwischen Autobahn, Arena, Kläranlage. „Diese angebliche Würdigung ist für viele Juden eine Entwürdigung“, sagt Eberhard Schulz von der Versöhnungskirche Dachau. Nicht der FC Bayern oder die Stadtoberhäupter waren es, die das Erbe pflegen, sondern Persönlichkeiten wie Schulz oder Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden. „Wir wollen Landauer wieder in die Mitte der Münchner Gesellschaft holen“, sagt Schulz.
„Kick it like Kurt“
Gemeinsam mit Maurice Schreibmann, dem Manager des jüdischen Vereins Makkabi München, sitzt er in einem Café in der Münchner Innenstadt und erläutert seine Pläne. Im Oktober wird es eine zweite Veranstaltung zum Andenken Landauers geben, dazu sind eine Ausstellung geplant, ein Konzert gegen Rassismus, Turniere für Kinder und Familienfeste. Eine Jugendorganisation möchte einen Film über Landauer drehen, „Kick it like Kurt“. Makkabi, ein Klub mit über 1000 Mitgliedern aus 15 Nationen, in dem Juden, Muslime, Christen zusammen spielen, wird sein Vereinsgelände nach ihm benennen.
„Landauer bietet Lernanstöße“, sagt der Jude Schreibmann. Sein Vater hatte während des Zweiten Weltkrieges Eltern und 13 seiner 14 Geschwister verloren. Spät beschäftigte sich Maurice Schreibmann mit dem Holocaust. Über eine Ausstellung stieß er auf die Biografie Landauers, er verschlang Artikel. Schreibmann glaubt, Fußball könne eine pädagogische Brücke in die Geschichte schlagen: „Mit Sport erreichen wir viele Jugendliche, die wir sonst vielleicht nicht erreichen.“
Der FC Bayern hat mehr Erfolge vorzuweisen als die Tore des Stürmers Gerd Müller oder die Paraden des Torhüters Sepp Maier. Der Verein hatte während des Nationalsozialismus lange seine jüdischen Mitglieder geschützt. Erst zehn Jahre nach Landauers Demission war die Führung auf Linie gebracht. Der Rivale 1860 München schmiss sich den Nazis dagegen früh an den Hals. Diese Dienste belohnte das Regime. Spieler des FC Bayern wurden öfter an die Front geschickt.
„Sportfunktionäre weigern sich, den Marketingwert der Geschichte anzuerkennen. Die Wirtschaft war weitsichtiger“, erläutert der Münchner Historiker Anton Löffelmeier. Konzerne wie die Deutsche Bank, BMW oder Siemens öffneten in den neunziger Jahren ihre Archive. Die Debatte um Enteignungen und jüdische Zwangsarbeiter, auch wenn sie schockierend war, konnten die Unternehmen in ihre Öffentlichkeitsarbeit einbinden. „Die Erkenntnis, dass man hier sinnvoll Geld investieren kann wie ins Merchandising, ist vielen Vereinen nicht bewusst“, sagt Löffelmeier. Das gilt vor allem für den FC Bayern, viele Anekdoten sind nahezu unbekannt, auch diese: 1940 bestritt der FC Bayern ein Spiel in Genf, im Exil von Kurt Landauer. Die Spieler erspähten ihren früheren Präsidenten auf der Tribüne, während der Halbzeit begrüßten sie ihn herzlich. Sie wussten, was sie ihm zu verdanken hatten. Zu einer Tradition ist diese Dankbarkeit nicht geworden.
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