Landauers Liebe - Die jdische Vergangenheit des FC Bayern 11FREUNDE

Publish date: 2024-11-23

Uri Siegel kann Szenen, die vor Jahr­zehnten abge­laufen sind, beschreiben, als wären sie ges­tern gewesen. Er hat mit Onkel Kurt in der Schule nie geprahlt, aber stolz auf ihn war er schon. Er war ein statt­li­cher Mann, sehr populär“, sagt Siegel, Jahr­gang 1922, und streicht mit der fla­chen Hand über einen Ordner mit ver­gilbten Fotos. Onkel Kurt ist seit bald fünfzig Jahren tot, und erst jetzt wächst das Inter­esse an ihm. Er war in Ver­ges­sen­heit geraten“, sagt Siegel. Dabei hat der Münchner Fuß­ball ihm viel zu ver­danken.“ Viel­leicht würde es den FC Bayern und seine Rekorde ohne den Juden Kurt Land­auer heute gar nicht geben.

Fast zwanzig Jahre, mit Unter­bre­chungen, ist Land­auer Prä­si­dent des FC Bayern gewesen. Er hatte im Ersten Welt­krieg für das Deut­sche Reich gekämpft, formte den Klub zu einer aner­kannten Adresse. Unter seiner Füh­rung wurde der FC Bayern 1932 zum ersten Mal Deut­scher Fuß­ball­meister. Tau­sende hul­digten Land­auer, dem akkurat geklei­deten Sohn einer jüdi­schen Kauf­manns­fa­milie, er hätte nicht für mög­lich gehalten, dass der Jubel schnell wieder ver­hallen würde.

Schon Monate später wurde ein Cousin seines Schwa­gers von den Nazis durch die Straßen getrieben. Dem Anwalt waren die Hosen­beine abge­schnitten worden, er musste ein Schild tragen, die Bot­schaft: Ich bin Jude und will mich nicht gegen die Polizei beschweren.“ Land­auer trat 1933 als Prä­si­dent des FC Bayern zurück. Am 10. November 1938, einen Tag nach der Pogrom­nacht, wurde Land­auer in das Kon­zen­tra­ti­ons­lager Dachau ver­schleppt, vier Wochen war er in Baracke Nummer acht inhaf­tiert.

Igno­ranz, Unwis­sen­heit oder Kalkül

An jenem Ort soll an diesem Diens­tag­abend auch der 125. Geburtstag Land­auers begangen werden. Uri Siegel, sein letzter lebender Ange­hö­riger, Anwalt in dritter Gene­ra­tion, wird vor den Gästen spre­chen, auch Bayern-Vor­stands­chef Karl-Heinz Rum­me­nigge will kommen. Dachau sym­bo­li­siert die trau­rigste Zeit im Leben Land­auers – zugleich aber auch eine seiner größten Errun­gen­schaften.

Land­auer entkam dem Lager, flüch­tete in die Schweiz, doch vier seiner Geschwister wurden von den Nazis ermordet. Trotz der Tra­gö­dien kehrte er 1947 zurück nach Mün­chen. Er bewarb sich bei den ame­ri­ka­ni­schen Besat­zern um die Lizenz, den FC Bayern wieder auf­bauen zu dürfen. Darum hatten sich viele bemüht“, sagt Siegel. Aber sie wurden raus­ge­worfen, mein Onkel war glaub­wür­diger.“ Land­auer ebnete den Weg für erfolg­reiche Jahr­zehnte. Das Fun­da­ment für den Rekord­meister.

Als Legende wird Land­auer beim FC Bayern nicht betrachtet. Wer auf der Inter­net­seite des Ver­eins in der Such­funk­tion den Namen des Mana­gers Hoeneß ein­gibt, erhält 1646 Ein­träge, Klub­chef Rum­me­nigge för­dert 1286 Ver­merke zu Tage. Bei Land­auer ist es kein ein­ziger. Die Bayern glauben, dass ihre Geschichte mit Franz Becken­bauer und den Erfolgen in den Sieb­zi­gern beginnt“, sagt Siegel. Land­auer starb 1961, die Klub­zei­tung begrün­dete seine Abwe­sen­heit zwi­schen 1933 und 1947 mit poli­ti­schen Gründen“. Über dem Nachruf stand ein Kru­zifix, von jüdi­schen Wur­zeln ist keine Rede.

Ist es Igno­ranz, Unwis­sen­heit oder Kalkül? Will der FC Bayern keine poli­tisch-reli­giösen Fragen beant­worten, womög­lich mit Blick auf den ara­bi­schen Markt? Der jüdi­sche Nach­lass ist für jene sichtbar, die genau hin­schauen. Ein Bei­spiel ist der Kurt-Land­auer-Weg, am Stadtrad gelegen, im Nir­gendwo zwi­schen Auto­bahn, Arena, Klär­an­lage. Diese angeb­liche Wür­di­gung ist für viele Juden eine Ent­wür­di­gung“, sagt Eber­hard Schulz von der Ver­söh­nungs­kirche Dachau. Nicht der FC Bayern oder die Stadt­ober­häupter waren es, die das Erbe pflegen, son­dern Per­sön­lich­keiten wie Schulz oder Char­lotte Knob­loch, die Prä­si­dentin des Zen­tral­rats der Juden. Wir wollen Land­auer wieder in die Mitte der Münchner Gesell­schaft holen“, sagt Schulz.

Kick it like Kurt“

Gemeinsam mit Mau­rice Schreib­mann, dem Manager des jüdi­schen Ver­eins Mak­kabi Mün­chen, sitzt er in einem Café in der Münchner Innen­stadt und erläu­tert seine Pläne. Im Oktober wird es eine zweite Ver­an­stal­tung zum Andenken Land­auers geben, dazu sind eine Aus­stel­lung geplant, ein Kon­zert gegen Ras­sismus, Tur­niere für Kinder und Fami­li­en­feste. Eine Jugend­or­ga­ni­sa­tion möchte einen Film über Land­auer drehen, Kick it like Kurt“. Mak­kabi, ein Klub mit über 1000 Mit­glie­dern aus 15 Nationen, in dem Juden, Mus­lime, Christen zusammen spielen, wird sein Ver­eins­ge­lände nach ihm benennen.

Land­auer bietet Lern­an­stöße“, sagt der Jude Schreib­mann. Sein Vater hatte wäh­rend des Zweiten Welt­krieges Eltern und 13 seiner 14 Geschwister ver­loren. Spät beschäf­tigte sich Mau­rice Schreib­mann mit dem Holo­caust. Über eine Aus­stel­lung stieß er auf die Bio­grafie Land­auers, er ver­schlang Artikel. Schreib­mann glaubt, Fuß­ball könne eine päd­ago­gi­sche Brücke in die Geschichte schlagen: Mit Sport errei­chen wir viele Jugend­liche, die wir sonst viel­leicht nicht errei­chen.“

Der FC Bayern hat mehr Erfolge vor­zu­weisen als die Tore des Stür­mers Gerd Müller oder die Paraden des Tor­hü­ters Sepp Maier. Der Verein hatte wäh­rend des Natio­nal­so­zia­lismus lange seine jüdi­schen Mit­glieder geschützt. Erst zehn Jahre nach Land­auers Demis­sion war die Füh­rung auf Linie gebracht. Der Rivale 1860 Mün­chen schmiss sich den Nazis dagegen früh an den Hals. Diese Dienste belohnte das Regime. Spieler des FC Bayern wurden öfter an die Front geschickt.

Sport­funk­tio­näre wei­gern sich, den Mar­ke­ting­wert der Geschichte anzu­er­kennen. Die Wirt­schaft war weit­sich­tiger“, erläu­tert der Münchner His­to­riker Anton Löf­fel­meier. Kon­zerne wie die Deut­sche Bank, BMW oder Sie­mens öff­neten in den neun­ziger Jahren ihre Archive. Die Debatte um Ent­eig­nungen und jüdi­sche Zwangs­ar­beiter, auch wenn sie scho­ckie­rend war, konnten die Unter­nehmen in ihre Öffent­lich­keits­ar­beit ein­binden. Die Erkenntnis, dass man hier sinn­voll Geld inves­tieren kann wie ins Mer­chan­di­sing, ist vielen Ver­einen nicht bewusst“, sagt Löf­fel­meier. Das gilt vor allem für den FC Bayern, viele Anek­doten sind nahezu unbe­kannt, auch diese: 1940 bestritt der FC Bayern ein Spiel in Genf, im Exil von Kurt Land­auer. Die Spieler erspähten ihren frü­heren Prä­si­denten auf der Tri­büne, wäh­rend der Halb­zeit begrüßten sie ihn herz­lich. Sie wussten, was sie ihm zu ver­danken hatten. Zu einer Tra­di­tion ist diese Dank­bar­keit nicht geworden.

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